Die letzten Ihrer Art? - Mallorquinische Ocarinas - Spurensuche

Bei der Suche nach Beschreibungen von 8-Loch Okarinas stieß ich auf einen Mallorca-Shop, der solche Instrumente in drei Größen anbietet. Bei weiteren Recherchen stieß ich auf Webseiten, die 8-Loch-Okarinas zu den traditionellen Volksinstrumenten von Mallorca zählen. Da die abgebildeten Instrumente allem Anschein nach ein reduziertes italienisches System aufweisen, forschte ich neugierig weiter. Wie war die Ocarina wohl nach Mallorca gekommen?

Eine Okarinafreundin machte mich auf zwei mallorquinische Okarinabauer aufmerksam: Jesús Palazón (*1947) und
Carme Hermoso (*1955). Diese Namen führten mich zu verschiedenen Quellen (siehe unten), denen ich folgende Historie entnehmen konnte:

 

1887 eröffnete der aus Budrio kommende Okarinabauer Cesare Vicinelli in Palma in der Calle Jovellanos eine Werkstatt und begründete damit die mallorquinische Okarina-Tradition. Damals erfreute sich das Instrument derart großer Beliebtheit, dass weitere Ocarina-Werkstätten in Manacor, Buñola und Pollensa entstanden.

Es gibt auch Hinweise, dass die Okarina in Mallorca schon vorher bekannt war. Es heißt, dass dem balearischen Almanach El Isléo zu entnehmen sei, dass der Musiker und Komponist Atilio Bruschetti bereits 1881 die Okarina am Konservatorium von Palma lehrte und dass die erste Erwähnung der Okarina auf Mallorca aus dem Jahr 1879 stammt. Diese wird Cesare Vicinelli und Luigi Cussini zugeschrieben. Letzterer war Mitglied des Vorstandes des Konservatoriums der Balearen und eng mit mallorquinischen Kreisen verbunden, in denen sein Okarina Orchester bei vielen gesellschaftlichen Veranstaltungen auftrat.

 

Im späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert gab es Bands, Orchester und Solisten in ganz Mallorca, die mit der Ocarina auftraten. Eine Quelle berichtet, dass die letzten Konzerte wohl 1920 in Klöstern stattfanden. Man nutzte die Kirchen der guten Akustik wegen als Konzerträume. Eine andere Quelle berichtet, dass die Okarinaszene beim Ausbruch des Bürgerkriegs zusammenbrach. Der war 1936-1939. In dieser Zeit wurden die meisten Okarina-Werkstätten aufgegeben und es gab keine Okarinakonzerte mehr. Die Gefäßflöte geriet als Konzertinstrument in Vergessenheit, überlebte aber hier und dort als Volksinstrument.

 

Auch ein 2008 erschienener Artikel in der deutschsprachigen Ausgabe der Mallorca-Zeitung nennt als Ursache für das Verschwinden der Okarinaszene den spanischen Bürgerkrieg. 1920 war für Mallorca aus anderen Gründen von einschneidender Bedeutung. In diesem Jahr ging der erste Flughafen bei Son Bonet in Betrieb und Ferienflieger brachten die ersten Touristen (Quelle). Damit begann der organisierte Fremdenverkehr, der Mallorca stetig steigende Besucherzahlen brachte.

 

Zum Glück für die mallorquinische Okarina entdeckte Jesús Palazón (San Sebastián, 1947) dieses Instrument für sich, als er im Kindesalter eine Weile krank das Bett hüten musste. Er liebte die Ocarina so sehr, dass er sie unter seinem Kopfkissen aufbewahrte.

Palazón wurde Arzt. Seine große Liebe aber galt der Musik und der Okarina. Er spielte und sammelte die Instrumente nicht nur, er begann irgendwann auch damit, sie zu bauen. Seine kritischen Musikerohren lasen immer nur die am besten gelungenen Instrumente  für die Sammlung aus. Was nicht perfekt war, wurde zerbrochen und/oder in den Hafen geworfen, erzählte er in einem Interview.

2009 war der damals 62-Jährige vermutlich ein gefragter Okarinabauer und Dozent. Neuere Belege für seine Tätigkeiten konnte ich nicht finden. Sollte er noch leben, wäre er heute 71, genauso wie Giorgio Pacchioni, der in Italien zu den besten Okarinabauern zählt und sich aus Altersgründen mehr und mehr zurückzieht.

2009 wurde berichtet, dass traditionelle Musikgruppen wie "Milladoiro" und "Oskorri" (Baskenland) Palazóns Okarinas besonders schätzten.

Derselbe Artikel berichtet, dass Palazón damals bemängelte, dass viel "Ernsthaftigkeit und Wissen" in allem, was mit der Okarina zu tun hat, verloren gegangen sei. "Alle aus Schlamm gebauten Dinge mit Löchern heißen Okarina", klagte er.

 

 

In aktuellen Informationen über Mallorca taucht bei der Suche nach mallorquinischen Okarinas der Name Carme Hermoso auf. Carme ist die katalanische Version des spanischen Vornamens Carmen. Die vielseitige Künstlerin wurde 1955 in Palma geboren und ist somit 8 Jahre jünger als Jesus Palazón. Sie baut das Instrument nicht nur, sie spielt es auch leidenschaftlich gerne.

 

Ein Web-Magazin, das regelmäßig Künstlerportraits veröffentlicht, interviewte Carme Hermoso 2017. Darin erfährt man, dass sie ursprünglich bildende Kunst studieren wollte. Als der Studienzweig vor Erreichen ihres Exames geschlossen wurde, war sie sehr frustriert und wusste nicht so recht, wie es weiter gehen sollte. Die zukunftsbestimmende Wende kam, als ihr Mentor Benet Mas  sie zu einem mallorquinischen Okarinaprojekt einlud. Das beeindruckte sie so sehr, dass sie 1987 mit dem Okarinabau begann.


2009 gründete Carme Hermoso die Interessengemeinschaft "Sons de la Terra" was bedeutet "Klänge der Erde". Ziel dieser Gemeinschaft ist es, die mallorquinische Okarina und ihre Musik lebendig zu halten.

 

2012 gelang die erfolgreiche Präsentation der mit "Sons de la Terra" erarbeiteten Projekte in Algaida (Mallorca):

- die Dokumentation über die Geschichte und die Entwicklung der mallorquinischen Okarina

- Konzerte für Okarinas und Schlaginstrumente aus Ton

 

In einem Interview von 2017 beschrieb sie noch einmal die Ziele von "Sons de la Terra" (freie Übersetzung):

  • Restaurierung und Erhaltung der mallorquinischen Okarina als Teil des historischen, musikalischen, kulturellen, ethnographischen und handwerklichen Erbes.
  • Förderung der mallorquinischen Okarina in allen sozialen Bereichen der Balearen, insbesondere in Schulen und bei Kindern und Jugendlichen.
  • Verbreitung der mallorquinischen Okarina als vielseitiges Instrument.
  • Unterweisungen im Bau der mallorquinischen Okarina
  • Schaffung und Förderung von Okarina-Musikgruppen
  • Erstellung und Verbreitung von Bibliographien zu Okarinas im Allgemeinen und zu den mallorquinischen im Speziellen (historische und ethnographische Studien, Musiknoten, Fotografien, Sammlungen, audiovisuelle Ressourcen, pädagogische Methoden usw.)
  • Alte Okarinas wiederzugewinnen und neue zu bekommen und sie zu klassifizieren und eine Sammlung zu starten.

Um alle genannten Ziele zu erreichen, wurden einige Aktivitäten geplant:

  •     Kurse für Kinder in Schulen und Musikschulen.
  •     Aktivitäten für das allgemeine Publikum (Workshops, Vorträge, Vorträge, Seminare, Ausstellungen, etc.)
  •     Veröffentlichung von Büchern und Broschüren über Okarinas.
  •     Produktion von Dokumentationen über die Herstellung, die Geschichte, die Performances und andere Aspekte der Okarina.
  •     Kreation einer Okarina-Konzertreihe.
  •     Demonstration und Verbreitung der handwerklichen Herstellung der mallorquinischen Okarina.
  •     Schaffung eines Okarina-Museums.

 

Das liest sich nach einer Menge Arbeit! Vieles scheint immer noch in den Anfängen zu stecken. Ein anderer Bericht von Mai 2018 deutet an, dass das ehrgeizige Projekt nach 2012 irgendwann einschlief. Es mangelte an Geld und Unterstützung. Inzwischen wendet sich Carme Hermoso zunehmend der Malerei zu.

 

Hat die Okarina in Mallorca noch eine Chance, erneut als anspruchsvolles Musikinstrument aufzuerstehen? Derzeit scheint sie - wenn überhaupt - nur noch als Touristenmitbringsel zu überleben. Gibt es noch andere Mallorquiner, die Okarinas bauen und öffentlich spielen? Schon 2008 wurde Carme Hermoso als "Hüterin der verlorenen Flötentöne" bezeichnet. Sie gilt als einzige geprüfte Meisterin des Okarinabaus von ganz Mallorca. Wer setzt ihre Arbeit fort, wenn sie in Rente geht?

 

 

 

So ganz befriedigt mich das Recherche-Ergebnis momentan noch nicht.

Zu viele Fragen sind noch offen.

So würde ich gerne erfahren, ob in Mallorca tatsächlich nur 8-Loch-Okarinas gebaut werden. Oder baut vielleicht doch jemand Ocarinas mit mehr als 8 Grifflöchern?

Der aus 8 Grifflöchern resultierende Tonraum ist sehr begrenzt. Es braucht schon das Zusammenspiel von mehreren sehr guten Musikern, um mit diesem begrenzten Tonumfang Melodien mit größerem Tonraum zu spielen. Wer spielt heute noch auf der Okarina und wie und in welchen Ensembles?

Wie mag wohl das erweiterte Griffsystem von Jesús Palazón ausgesehen haben?

Mit welchen Okarinas haben die Solisten um 1920 gespielt? Und welche Musik? Vicinelli hat aus Budrio sicherlich 10-Loch-Okarinas mitgebracht. Außerdem entwickelte Vicinelli Doppias. ...

 

Welchen Tonraum benötigt man für traditionelle Tanzmusik und Lieder der Baleareninsel?

 

Weiter führende Links / Quellen:

  • https://www.masmallorca.es/de/typische-produkte/ocarina.html
  • https://www.diariodemallorca.es/actual/2009/02/25/ocarina-sido-maltratada-historia/439327.html
  • https://www.diariodemallorca.es/actual/2008/12/07/ocarina-pone-musica-fira-lartesania/416449.html
  • https://de.scribd.com/document/62848800/La-Ocarina-1

 

  • https://www.mallorcazeitung.es/land-leute/2008/12/18/huterin-verlorenen-flotentone/14632.html
  • https://madineurope.eu/fine_crafts/stories_of_talent/174/carme_hermoso_capllonch_ocarinas_maker_ocarinera_spain/
  • http://www.viumarratxi.cat/els-sons-de-la-terra-entrevista-a-carme-hermoso/
  • http://www.diariodemarratxi.com/ara-i-aqui-carme-hermoso-ara-pintora/

 

 

  • https://de.wikipedia.org/wiki/Milladoiro
  • https://ca.wikipedia.org/wiki/Ocarina#L'ocarina_a_Mallorca
  • https://milladoiro.gal/en/
  • https://de.wikipedia.org/wiki/Oskorri

 

  • https://tramunquiero.com/zeittafel-mallorca-tramunquiero-geschichte/
  • https://www.weltbild.ch/media/txt/pdf/9783956891243-110974078-adac-reisefuehrer-mallorca.pdf

 

 Stand Juli 2018

 

 

Wegweiser - Okarinathemen